Kennst Du die vier großen Lebensschwellen und weißt, wie wir sie meistern können? Seit etwa 250 Jahren gibt es in unserer Kultur nur eine erkennbare Schwelle: Sein oder nicht Sein. Leistungsfähig oder unproduktiv. Geburt und Tod. Dazwischen liegt eine lange Phase von „schneller, höher, weiter, tiefer, besser“, die als Maßstab zur Statusdefinition dient.
Und auch, wenn sich die Werte unterscheiden, so ist die Währung die Gleiche, egal, ob es nun „mein Auto, mein Haus, mein Pferd, mein Boot“ oder „meine Persönlichkeitsentwicklung, mein Altruismus, meine fortgeschrittene Spiritualität“ heißt: Leistung. Von der Wiege bis zu Bahre.
- Babys werden schon früh durch Normen und Leistungskurven evaluiert. Welche Mutter kennt nicht die besorgten Blicke bei den Früherkennungsuntersuchungen, wenn ihr Kind von der Leistungskurve abweicht.
- Im Vorschulalter dann die „spielerische“ Hinführung an Chinesisch, Geige oder Tennis. Da werden Dreijährige mit Tennisschlägern, die größer sind, als sie selbst, über den Court gejagt, Tonleitern geübt, bis die kleinen Finger bluten und neueste Hypno-Tools ausprobiert, damit Klein-Urs besser Chinesisch spricht als Chen Lu, seine Kindergartenfreundin.
- In der Schule geht es nicht um die Freude am Entdecken und Erforschen neuer Welten, sondern einzig und allein um Notendurchschnitte und genormtes Sozialverhalten.
- Als Erwachsener ist man dann so auf Leistung getrimmt, dass man diesen Maßstab als Mittel der Wahl ansieht, wenn es um Anerkennung, Prestige und Status geht. Nimmt sie ab, so wird man ausgesondert.
- Der Wert eines Menschen in Rente? Vielleicht noch als gut situierter Verbraucher im Warenkorn des Bruttosozialprodukts.
Betrachtet man ein Leben nur durch die Leistungs-Brille, so übersieht man leicht, dass wir – ähnlich der Jahreszeiten – vier Lebensphasen haben: die der Kindheit, die der Adoleszenz, die des Erwachsenen und die des Alters. Dazwischen liegen Seelen-Schwellen, die einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. Was nun diese Schwellen sind, welche Aufgaben sie uns stellen und wie sie zu meistern sind, beschreibe ich im Folgenden…
Die Geburt – die Schwelle vom Nichts ins Sein
Die Geburt ist die Schwelle, bei der ein Wesen in die materielle Welt des Seins eintritt. War es noch kurz davor mit der Mutter und auf Seelenebene mit allem, was ist verbunden, so erfährt es sich im nächsten Augenblick als Individuum. In früheren Zeiten übernahmen die weisen Frauen nicht nur die medizinische Versorgung bei der Geburt, sondern widmeten sich auch der Seelen von Mutter und Kind, damit sie den Geburtsprozess gut überstanden. Heutzutage gibt es immer mehr Gebärende, die sich dieser wichtigen Schwelle bewusst werden und engagieren Doulas, die diese Aufgabe übernehmen.
Die Aufgabe des Neugeborenen an der Schwelle vom Nichts ins Sein ist, den Übergang in die Ich-Haftigkeit gut zu bewältigen, seine Grenzen zu bilden und die Erfahrung der Trennung zu bewältigen. Hat es dabei eine seelenkundige Begleiterin um sich, die weiß, dass dies im endlosen Raum des Jetzt geschehen muss und nicht mit medizinischen Normen gemessen werden kann, hat es gute Chancen, sich geborgen, geliebt und angenommen zu fühlen. Gelingt dies nicht, so wird es dieser frühe Mangel ein Leben lang begleiten.
Der Schuleintritt – die Schwelle vom Sein ins Selbst
Die Schwelle von Sein ins Selbst wartet spätestens bei der Einschulung auf uns. Vorbei ist die Zeit, in der Kinder „nur“ durch ihr Sein entzückten. Ab jetzt wird jede Handlung verglichen und bewertet. Schulische Noten werden wichtiger als soziale Kompetenz, Flexibilität, Kreativität oder Empathie. Selbstwert, Selbstakzeptanz, Selbstkritik, Selbstliebe oder Selbstverantwortung werden allein aus der Leistungsbereitschaft oder dem Mangel an derselben entwickelt.
Die Aufgabe eines Kinds an der Schwelle des Seins ins Selbst ist, eine emphatische „Sowohl-als-auch-Haltung“ in die Bildung des eigenen Selbst mitzunehmen. Das Wissen,
- dass z.B. die Mama „doof“ ist, wenn ich kein Eis bekomme UND dass ich sie über alles liebe
- dass mich, auch wenn ich „Blödsinn“ gemacht habe, der Papa liebt
- dass die magische Welt der Feen und Zwerge genauso „stimmt“ wie die Welt der Großen
- dass ich meine beste Freundin immer noch mag, auch wenn sie sich das größere Stück Kuchen genommen hat
- dass Empathie nicht nur heißt, dass ich mitfühlend mit den Anderen sein muss, sondern auch mit mir selbst
Hat es dabei eine seelenkundige Begleiterin um sich, eine Kindergärtnerin etwa, die anthroposophisch ausgebildet ist und sich daher auch mit der seelisch-spirituellen Entwicklung von Kindern vertraut ist, hat das Kind gute Chancen, die Zeit der Selbst-Bildung gut zu durchleben. Gelingt es ihm nicht, so wird es versuchen, Selbstzweifel, Selbstkritik und/oder Selbstüberforderung durch Leistung zu kompensieren. Wie gut, dass es auch heute noch Großeltern, Älteste und weise Frauen gibt, die an dieser Schwelle stehen und Kindern zum Beispiel durch das Erzählen von Märchen und Mythen Wissen an die Hand geben, das eine Welt jenseits von Leistung mitschwingen lässt.
Der Erwachsene – die Schwelle vom Selbst ins Tun
Die Schwelle von Selbst ins Tun wartet in der Regel auf uns, wenn wir in der Berufswelt Fuß fassen, heiraten und eine Familie gründen. Geschah dies noch vor 50 Jahren mit Mitte/Ende 20, so hat sich das „Erwachsenenleben“ in den letzten Jahren immer mehr nach hinten verschoben. Durch lange Studienzeiten, der Angst, sich festzulegen, womöglich etwas zu versäumen und Quarterlife-Krisen, ist diese Schwelle der Reifung fluide geworden. Immer mehr Pupertätsveteranen klammern sich an die Adoleszenzphase, in der weder Verantwortung übernommen werden musste, noch Selbstfürsorge betrieben wurde.
In alten Zeiten war der Beginn der Pubertät die Phase, in der Jugendliche Initiationsriten erlebten, die sie – nach Bestehen – in den Kreis der Erwachsenen aufnahmen. Diese Schwellengänge begleiteten kundige Älteste oder weise Frauen. Auch heute gibt es zum Beispiel seelenkundige Visionssucheleiter, die Visionssuchen anbieten und Menschen bei der Initiation in ein seelengeführtes Leben begleiten. Sie kennen den Weg der zyklischen Persönlichkeitsentwicklung und helfen dabei, den Raum des „Sowohl-als-auch“ zu erweitern. Gelingt dies nicht, so werden egozentrierte Erwachsene meist schmerzhaft in Form von Krankheiten (wie z.B. Burnout) daran erinnert, dass ihre Kapazitäten, Leistung zu erbringen, meist geringer sind als der unermüdliche Wunsch nach Anerkennung.
Die reifen Ältesten – die Schwelle vom Tun ins Sein
Die Schwelle vom Tun ins Sein ist eine der herausforderndsten, wenn man sich zeitlebens über das Tun definiert hat. Wenn die Leistungsfähigkeit schwindet, dann muss ein neuer Wertmaßstab gefunden werden – ansonsten taucht man ein in die Welt der Verbitterung.
In früheren Zeiten übernahmen die Initiationszeit, in der neue Werte und neue Lebensentwürfe kreiert wurden, die Ältesten oder die weisen Frauen, bevor man z.B. als Frau zu einer Crone wurde. Die Aufgabe einer Frau in der Lebensmitte war also, dem Ruf ihrer Seele zu lauschen, sich aus der Phase des Leistens herauszuentwickeln und zu einer weisen Frau zu werden, die das Niemandsland zwischen dem Tun und dem Sein auf ihre individuelle Art durchwandert hat. Gelingt dies nicht, so wird der reife Mensch sich nur über Erinnerungen an „bessere, aktivere, produktivere Zeiten“ definieren und versäumen, seine Lebenserfahrung und Weisheit der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.
Der Tod – die Schwelle vom Sein ins Nichts
Gibt es nun doch mehr als vier Lebensschwellen? Erkennt man, dass die Schwelle ins Leben die gleiche Schwelle ist, wie die aus dem Leben – die Schwelle zwischen Leben und Tod – so ist man in der zyklischen Weltsicht angekommen. Ein endloser Kreis, in dem unser Leben stattfindet. Dann wird der Tod als Geburts-Schwelle in ein anderes Leben wahrgenommen und als solches erfahren.
Hat man eine kundige Begleiterin, z.B. eine Sterbe-Doula an seiner Seite, so bereitet man sich seelisch-spirituell auf den großen Übergang vor, der den Kreislauf des Lebens abschließt: vom Sein ins Nichts.
Wer hilft uns beim Meistern dieser Lebensschwellen?
In alten Zeiten standen uns an den Schwellen Älteste oder weise Frauen zur Verfügung. Oftmals waren die Großmütter die Hüterinnen der Schwelle – wenn sie denn selbst noch in das alte Wissen initiiert waren. In der postmodernen westlichen Kultur als Sinnbild von Individualismus, Selbstverwirklichung und Produktivität hatte die vierte Lebensphase (die der Ältesten) keinen besonderen Wert mehr. Doch immer lauter wird in den letzten Jahren der Ruf nach Schwellenhüterinnen, die den Menschen an den Schwellen dabei helfen, Perspektiven zu erweitern und wichtige Initiationsschritte zu vollziehen.
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Von Herz zu Herz, Deine Mia
Liebe Mia,
ein sehr schöner Blogartikel von dir. Ich habe ihn sehr gerne gelesen. Es wird Zeit, dass wir diese Phasen viel bewusster wahrnehmen und nicht in der Leistung hängen bleiben. Es hat sich vieles in die Richtung „Leistung und Selbstoptimierung“ verschoben.
Liebe Grüße, Gisela
Liebste Gisela, es wäre mir ein Fest zu erleben, dass sich wieder weise Frauen, die jenseits von Leistung und Selbstoptimierung sind, als Schwellenhüterinnen an diesen Lebensschwellen niederlassen. Frauen wie Du. Hörst Du denn schon den Ruf?. Von Herzen, Mia