Grey is beautiful – vom Glück, so sein zu dürfen, wie man will
Noch vor gar nicht langer Zeit, wurde eine Frau, deren Haare ergrauten, in die Klimakteriums-Schublade gesteckt. Dort durfte sie sich langsam aus der Sichtbarkeit als Frau verabschieden und konnte höchstens noch mit der duldsamen Ergebenheit einer sich aufopfernden Oma punkten. Es scheint, als würde die Gesellschaft einer Frau mit jedem weiteren grauen Haar, das sich den Weg bahnt, deren Fähigkeiten absprechen. Wenn dann auch noch die Leistungsfähigkeit abnimmt, ist der Stempel der „älteren Generation“ nicht mehr allzu weit weg. Da hilft es auch nicht mehr, von der Werbung als „best ager“ hofiert zu werden.
Müssen wir uns denn der gesellschaftlichen Verortung fügen?
Ja, auch ich hätte, würde ich meine Haare nicht färben, graue Haare. Ich färbe sie, weil ich Freude an der Verwandlung durch Farbe habe. Mal sind sie sommersonnenhell, mal kastanienfarbig, mal eher mahagonidunkel. Dadurch spiele ich mit meinen unterschiedlichen Stimmungen und unterstreiche, ebenso wie mit einem Haarschnitt, einem Kleidungsstück oder einer Nagellackfarbe, mein aktuelles Lebensgefühl. Und je älter ich werde, um so weniger lege ich Wert auf Konventionen und zeige mich so, wie es mir gefällt. Heutzutage ist die Entscheidung, sich die Haare zu färben kein wagemutiges Vorhaben mehr.
Mitte der Achtziger, als ich in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft arbeitete, wäre es unmöglich gewesen, sich der Konformität zu entziehen. Da war ein adrettes Kostümchen, dezentes Make-Up und hochgesteckte Haare ein Muss. Um meine Seriosität zu unterstreichen, griff ich in dieser Zeit eher noch zu Brille als zu Kontaktlinsen. Männer mit grauen Schläfen hatten in dieser Zahlen-Daten-Fakten-Umgebung definitiv einen Vertrauensbonus, Frauen waren im „ergrauungsfähigen“ Alter kaum mehr in den Kanzleien anzutreffen. Entweder waren sie weggeheiratet oder operierten eher als graue Eminenzen aus dem unsichtbaren Backoffice heraus. Ehrlich gesagt machte ich mir in diesen Jahren keine Gedanken darüber.
Omas Verschwinden in die Unsichtbarkeit
Oma und ich hatten ein wunderbares Spiel: wir spielten an manchen grauen Regentagen „Friseur“. Ich liebte es, mit ihr am Fenster zu sitzen und mit Kamm, Lockenwickler und Bürste ihre Haare zu stylen. Sie war mit 45 eine junge Oma und so verfolgte ich während unserer gemeinsamen Friseurstuben-Zeit ihre Metamorphose von der attraktiven Mittvierzigerin hin zur unsichtbaren 50+. Die Haare wurden immer kürzer, grauer und die ganze Oma verlor dabei immer mehr ihren Glanz. Als hätte sich ein Schleier aus Melancholie und Resignation um sie gelegt. Irgendwann war das Haar weiß und die Oma ganz verschwunden. Meine Urgroßmutter war da ein ganz anderes Kaliber. Als schicke Schwabingerin ging sie auch noch mit 80 Jahren einmal die Woche zum Friseur und ließ ihr ergrautes Haar dann entweder in lila oder pink einlegen. Das war zu dieser Zeit unglaublich schick und á la mode.
Ist es mutig, als Frau heutzutage grau zu tragen?
Gegenfrage: ist es mutig, heutzutage Gothic, Mini, Maxi oder Überhauptnix zu tragen? Geht es nicht um den inneren Facettenreichtum einer Frau, den sie, vollkommen frei in ihrem äußeren Ausdruck zur Geltung bringt? Möglicherweise ist ja genau diese innere Haltung, sich frei in der Entscheidung zu fühlen, das Geschenk der „grauen Phase“: da hat man als Frau schon einige Schlachten geschlagen, ist gestürzt und wieder aufgestanden, die inneren und äußeren Blessuren sind soweit verheilt und man hat durch seine Erfahrungen an Stärke gewonnen. Mit diesen Schätzen im Lebensgepäck lässt man sich dann nicht mehr auf Haarfarben reduzieren und nimmst sich die Freiheit, zu wählen.
Ehrlich gesagt käme ich nie auf die Idee, einen Menschen nach seiner Haarfarbe oder Haarpracht zu diagnostizieren oder zu bewerten. Und falls meine Haarfarbe ein Ausschlusskriterium bei einem Businesspartner wäre, dann wäre er auch nicht mein Wunsch-Kooperationspartner. Ich weiß, wer ich bin, was ich kann und strahle diese Selbstsicherheit auch im Aussen aus. Egal, mit welcher Haarfarbe.
Die Qual hat, wer die Wahl hat
Derzeit fühle ich mich vollkommen frei in der Wahl meiner Haarfarbe. Und – hätte ich das Bedürfnis, meine innere Ausrichtung mit weissen Haaren zu unterstreichen – ich würde es einfach machen!
Noch bin ich nicht so weit. Aber – wer weiß – vielleicht sehr ihr mich in einigen Jahren mit einer grauen oder weißen Haarpracht. Wenn ich in den Raum einer weisen Ältesten gewachsen bin.
Warum ich mir überhaupt diese Frage stelle?
Meine wunderbare Blog-Buddy Renate Schmidt rief zur Blogparade „Grey is beautiful“ auf., nachdem sie den Artikel „Graue Haare im Business – zu alt oder schon Rollenmodell“ schrieb. Möchtest Du auch einen Artikel dazu beitragen? Die Blogparade endet am 15.03. – die Infos dazu findest Du hier
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