Mein Geständnis: ich erlaube mir nicht oft, so richtig wütend zu sein

Mein Geständnis: ich erlaube mir nicht oft, so richtig wütend zu sein

Ganz ehrlich? Ich komme aus einer Generation, in der es nicht erlaubt war, wütend zu sein. Geliebt wurde ich zum Beispiel von meinen Großeltern nur, wenn ich artig,  nett und immer freundlich war. Meine Großmutter erlebte ich immer „wohl temperiert“ in ihrem Gemütsausdruck, doch wenn sie mal ausbrach aus ihrem „Konventionskorsett“, dann prügelte sie mich ohne Gnade windelweich. Das, was ich bei ihr lernte, war:

Wut ist reinste Zerstörungskraft 

Und auch meine Mutter kanalisierte ihre Wut in reinste Zerstörungskraft. Wenn der Wut-Tornado in ihr ausbrach, war es für mich überlebenswichtig, in Deckung zu gehen. Bei ihr gab es nur zwei emotionale Aggregatszustände: entweder „liebte“ sie mich oder mich traf ihr abgrundtiefer Menschenhass. Als sensibles Kind nahm ich sehr oft Reissaus, denn in der  gesamten Familie wurden  Konflikte sehr laut und aggressiv ausgetragen. Die Konsequenz: ich beschloss in ganz frühen Kindertagen, nie so zu werden, wie meine Familie. 

Mein Wut-Pakt

Dieser Entschluss ließ mich im Außen immer sanft, hinnehmend, alles entschuldigend und verstehend auftreten. Konflikten ging ich, so gut es ging, aus dem Weg. Was ich dabei nicht lernte war, dass zwei Menschen unterschiedliche Meinungen haben können, diese vertreten und sich trotzdem lieben können. Kritik verstand ich als „ich hasse Dich“.

Doch wohin mit meiner Wut? Nach Außen vertrat ich vehement die Meinung, ich hätte eben keine. Doch mein Körper zeichnete ein ganz anderes Bild.  

Während meiner Kindheit und Pubertät fand ich mein Wut-Ventil im Leistungssport. Da konnte ich – gesellschaftlich anerkannt – meine autodestruktiven Impulse, die unweigerlich entstehen, wenn die Wut nicht nach Außen gelassen wird, in extreme Leistung verlagern. Ich war gnadenlos mit meinem Körper. Er musste funktionieren. Und wenn er das mal nicht tat, dann gab es einfach noch mehr Trainingseinheiten.

Wenn Wut in Krankheit mündet

Als junge Mutter hatte ich weniger Zeit, Sport zu treiben, doch die Wut, die ich unterdrücken musste, wurde immer größer. Ich konnte meinem inneren Bild der perfekten Mutter, die ein perfekt erzogenes Kind vorzeigen kann und gleichzeitig eine exzellente Unternehmerin ist, nicht entsprechen. Die Folge: mein Körper übernahm das Kommando und schenkte mir Asthma.

Auch das versuchte ich stoisch hinzunehmen. Über drei lange Jahre wachte ich nachts panisch auf und hatte schwere Asthmaanfälle. Doch anstatt zum Arzt zu gehen und mir diese „Schwäche“ einzugestehen, nahm ich die nächtlichen Attacken hin. Ich richtete mir einen „gemütlichen“ Platz ein, kochte Tee vor und erduldete das „Unabänderliche“. Bis es nicht mehr ging.

Wut tut gut!

In einem Selbsterfahrungsseminar, das tänzerische und körperbezogene Erfahrungseinheiten anbot, kam für mich der Durchbruch: ich tanzte meinen Schmerz aus meinem Körper und erlebte das erste Mal: Wut tut gut – ja, Wut tut sowas von gut!! Und: Wut zu haben bedeutet nicht unweigerlich Zerstörung. Wut ist ein unglaublich kreatives Element, das Veränderung einleitet.

Und ich verstand zum ersten Mal in meinem Leben, dass Wut der einizge Impuls ist, der uns aus dem Opfer-Status heraus katapultiert. Denn erst, wenn ich die Wut zulassen kann und damit ein inneres „es reicht“ anstoße, kann die stagnierte Energie, die mich im machtlosen Opfer-Dasein gefangen hält,   wieder zum Fließen gebracht werden.

Der Schlüssel liegt darin, wie ich diese Impulskraft einsetze!

Wut muss ich nicht unbedingt GEGEN etwas einsetzen – im schlechtesten Fall gegen mich selbst, sonndern kann es auch FÜR etwas einsetzen

Das war für mich die reinste Offenbarung! Wenn ich Wut als Impuls sehe, dass etwas nicht in Ordnung ist, dann gibt sie mir die Kraft, nach Lösungen zu suchen, die Veränderungsprozesse anstoßen! Ich kann also die Energie dazu nutzen, neue Ideen zu kreieren anstatt sie gegen mich zu richten.

Und trotzdem fällt es mir manchmal schwer, die Wut zuzulassen. Denn sie zerstört ja einen Status oder Zustand, den ich eine zeitlang hingenommen habe. Veränderungsimpulse bringen ja erst einmal Unordnung in vermeintlich harmonische Umstände. Das Wagnis, dies anzusprechen, verlangt mir immer noch ganz viel Mut ab. 

Interessanter kann ich das für andere sehr gut. Für mich selbst ist es immer wieder eine Herausforderung.

Everybody’s Darling is everybody`s Depp

Doch was steckt denn dahinter, wenn man sich nicht erlaubt, seine Wut nicht im Außen zu zeigen? Geht es darum, von allen geliebt und anerkannt zu werden? Glaubt man, das zu erreichen, in dem man konform geht mit allem, was das Gegenüber sagt? Mich erinnert der Satz „everybody´s darling is everybody`s Depp“ von Franz- Josef Strauss immer wieder daran, dass ich nicht MEHR geliebt werde, wenn ich keine eigene Meinung habe und diese nicht vertrete.

Und doch ist es für mich jedes Mal ein bewusster Akt, mir zu erlauben, Wut zu fühlen, sie zuzulassen und die Form zu wählen, wie ich sie „sichtbar“ werden lassen möchte. Es geschieht immer öfter und darüber bin ich richtig stolz.

Wie ist es bei Dir? Erlaubst Du Dir, wütend zu sein? Und wie drückst Du die Wut aus?

3 Kommentare

  1. Korina

    Liebe Mia, ein toller Artikel und ein wichtiges Thema. Ich unterdrücke Wut manchmal, um keine Schwäche zu zeigen. Wer ausflippt hat Unrecht und ist schwach. Das habe ich in meiner Kindheit gelernt. Heute kann ich in anderem Rahmen ausflippen. Schreiend im Auto oder beim Tanzen. Die Power flashed mich zuweilen. Aber das kennst du sicher. Ganz liebe Grüße, Korina

    Antworten
    • mia

      liebe Korinna,
      beim Tanzen ausflippen finde ich einfach wunderbar!
      Und ja, die Variante, Wut nicht zu zeigen, da damit ich nicht als schwach da stehe, kenne ich auch. Unglaublich, mit welchen Ideen wir uns die Welt erklären 🙂

      Herzensgrüße, Mia

      Antworten
  2. Sybille

    whow…was für ein genialer Artikel !!! – Ehrlich ,authentisch ,offen und spricht mich sowas von an !!!……Danke dir liebe Mia–Herzendrück

    Antworten

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wie schön, dass du hier bist! Ich bin Mia und freue mich, dass Du mich auf meinem Blog besuchst.

Ich begleite Frauen in der Lebensmitte durch das Niemandsland zwischen dem Tun und dem Sein, dass sich auftut, wenn das „schneller, höher, weiter“ keinen Sinn mehr macht.

Mehr über mich …

Ja, ich will den Inspirationsletter von Mia!

Werde Teil von Mia‘ s Welt und erhalte wöchentlich Inspirationen in Dein Postfach.

Marketing von

Purpose Bestimmung Lebenssinn – wie ich meine gefunden habe und was ich als Mentorin, Unternehmerin und weise Frau bewirken will

Es gibt immer wieder Zeiten im Leben, in denen wir uns fragen: was ist der Sinn des Lebens? Welchen Purpose habe ich? Was ist meine Bestimmung? Gibt es nur die EINE oder habe ich mehrere Bestimmungen im Leben? Worin finde ich den Sinn des Lebens? Was will ich...

Über verlorene Träume und wie sie sich Frauen in der Lebensmitte wieder zurückholen können

Kennst Du die Momente, an denen Du Dich an lang zurückliegende Träume erinnerst und wehmütig denkst, Du hättest sie ein für alle Mal verloren? Ich möchte ein Geheimnis mit Dir teilen. Das über verlorene Träume und wie sie sich Frauen in der Lebensmitte wieder...

Wenn das Leben auf die Stop-Taste drückt

Kennst Du das Gefühl, wenn Dein Leben plötzlich die Stop-Taste drückt? Ich erlebe diesen Moment gerade ziemlich intensiv. Wie ich damit umgehe, möchte ich Dir in diesem sehr persönlichen Artikel erzählen. Denn vielleicht erlebst auch Du gerade eine Umbruchphase, die...

Was Du in einem Online-Coachingprgramm für Businessaufbau NICHT lernst

Was Du in einem Coachingprogramm für Online-Business-Aufbau NICHT lernst, ist die Entwicklung einer UnternehmerInnen-Persönlichkeit. In der heutigen digitalen Welt boomt das Online-Business. Immer mehr Menschen suchen nach Möglichkeiten, ihr eigenes Unternehmen...

Wie es ist, mit mir zu arbeiten | so läuft eine 1:1-Zusammenarbeit mit mir im Business Mentoring ab

Mia, was machst Du eigentlich als Business-Mentorin? Ist das eher für ExistenzgründerInnen oder für UnternehmerInnen, die schon länger auf dem Weg sind? Bucht man Dich, wenn das Business anläuft, gut läuft, oder wenn es knirscht? Du willst wissen wie es ist mit mir zu...

Sechsstellig unter die Armutsgrenze. Über Sehnsüchte, Hoffnungen und die Realität im Online-Business und wie ein erfolgreiches Business gelingen kann

Sechsstellig unter die Armutsgrenze. Über Sehnsüchte, Hoffnungen und die Realität im Online-Business. Tausende von Frauen träumen jedes Jahr den Traum eines sechsstelligen, oder besser noch siebenstelligen Online-Business. Der Weg dahin, so versprechen...

Was macht mein Business Mentoring so besonders?

Was macht mein Business Mentoring so besonders? Diesen Artikel habe ich für Dich geschrieben, damit Du nach spätestens 685 Worten (so lange ist dieser Artikel) klar erkennst, ob Dich meine Art des Business Mentorings weiterbringt.  Eines ist sicher: die Arbeit mit mir...

Die Evolution des Mentorings – von Stammesältesten über Business-Paten hin zur visionären Mentor:in

In der Coaches-, Trainer:innen- und Berater:innenszene herrscht Unstimmigkeit darüber, wo der eine Begriff endet und der andere beginnt. Seit einiger Zeit trägt eine weitere Bezeichnung zur Konfusion bei: Mentor:in. Und auch hier scheiden sich die Geister, was genau...

Die türkise Lounge | mein heutiger Gast: Judith Peters | Gründerin der Content Society und Female Power Influencerin

Judith Peters aka Sympatexter ist heute zu Gast in einer neuen Podcastfolge der türkise Lounge, in der ich visionäre Entrepreneure vorstelle, die mit ihrem Wirken eine lebenswertere Zukunft gestalten.  Judith ist DIE Female Power Influencerin, die Frauen dabei hilft,...

Die türkise Lounge | mein heutiger Gast: Anke Beeren | Gründerin des Joint Forces Club

Anke Beeren ist heute zu Gast in einer neuen Podcastfolge der türkise Lounge, in der ich visionäre Entrepreneure vorstelle, die mit ihrem Wirken eine lebenswertere Zukunft gestalten. Sie ist Gründerin des Joint Forces Clubs und schafft darin integrale Räume, in denen...

Du willst mir schreiben? Das kannst Du hier:

3 + 10 =